Diese Arbeit (PDF) entstand als Master-Thesis an der Hochschule Liechtenstein. Als zusätzliche Informationsquelle mag unter Umständen die Präsentation (PDF) zur Verteidigung der Master-Thesis dienen. Sie beinhaltet wesentliche Elemente der Vorschläge für eine neue Organisation sowie das Literaturverzeichnis.
Vorwort
Erfahrungen aus dem militärischen Umfeld waren häufig Inspiration für Lehren und Verfahren, die in der Betriebswirtschaft breite Anwendung fanden. Organisationslehre, Logistik oder Operations Research sind Begriffe, die jedem Betriebswirt geläufig sind, aber ursprünglich Teil der Militärstrategie waren. Für Jahrhunderte war die straffe Struktur und Organisation des Militärs Vorbild für große Unternehmen. Mit dem Aufkommen der Informationstechnologie hat sich die Situation erstmals umgekehrt. Zwar entstanden die meisten heute existierenden informationstechnischen Systeme ursprünglich für militärische Zwecke. Es waren jedoch Unternehmen, die das dahinter steckende Potential erkannten und eher in ihren Organisationen umsetzten.
Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die sicherheitspolitische Situa-tion Europas dramatisch verändert. Einige Mitglieder des ehemaligen Ostblocks sind inzwischen sogar Teil der Europäischen Union geworden. Alte Feindbilder und die zuvor allgegenwärtige Gefahr eines umfassenden Krieges sind verblasst. Das Militär sieht sich neuen Aufgaben gegenüber, die sich oftmals sehr vom klassischen Verständnis einer Armee unterscheiden. Friedenssicherung, humanitäre Hilfe, Kampf gegen Terrorismus oder Nation Building sind einige Schlagworte, die in diesem Zusammenhang genannt werden können. Die Stärke einer Armee wird nicht mehr alleine durch ihre Größe, sondern vielmehr durch ihre Mobilität und Schnelligkeit bestimmt.
In Kombination mit der bereits benannten Informationstechnologie ergibt sich ein vollkommen neues Bedrohungspotential und Aufgabengebiet. Informationen werden zu einem der wichtigsten Faktoren für militärischen Erfolg. “Information Warfare” umschreibt eine Strategie, die auf die Unterminierung oder Unterbrechung gegnerischer Informationssysteme und die gleichzeitige Verbesserung der eigenen Beschaffung und Distribution von Information abzielt. Diese Konzentration auf ein materiell nicht fassbares Gut ist ein radikaler Paradigmenwechsel in der militärischen Strategie, die bislang vor allem auf physischer und zah-lenmäßiger Überlegenheit als Schlüssel für Erfolg fußte.
Das Militär muss sich daher in einem umfassenden Transformationsprozess der neuen Herausforderung stellen. Die Organisation muss flexibler und gleichzeitig effizienter werden. Abläufe und Kommunikationswege müssen begradigt und erheblich beschleunigt werden. Pate und Vorbild kann hierbei die Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik sein, die in den letzten Jahren ähnliche Konzepte für die Wirtschaft entwickelt und erfolgreich umgesetzt hat.
Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit zur Transformation soll diese Ar-beit mögliche Ausgestaltungen einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik vorstellen. Hierbei wird das Spektrum der Möglichkeiten von einer simplen Synchronisation der nationalen Verteidigungsstrategien bis hin zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung reichen.
Der Schwerpunkt der Betrachtung soll in der Beschreibung der unterschiedlichen Organisationsformen und den Möglichkeiten einer engen Verzahnung aller Elemente der Organisation durch die Nutzung von Informationstechnologie liegen. Die Praxis in Unternehmen wird in weiten Teilen als Vorbild dienen und auf die besonderen Anforderungen des Militärs projiziert werden.
Im Moment ist noch unklar, ob die Europäische Union tatsächlich eine Verteidigungsgemeinschaft oder etwas Ähnliches anstreben wird. Die Arbeit ist daher auf einigen Annahmen und Hypothesen aufgebaut. Sie kann somit eher als Diskussionspapier für die potentielle Zukunft der europäischen Sicherheitspolitik angesehen werden.
Durch die Vielzahl der Mitgliedsstaaten ist eine Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen und besonderen Forderungen im Rahmen einer solchen Arbeit unmöglich. Es wäre offen gestanden auch sehr interessant gewesen, wenn die hier entworfenen Vorschläge einer Organisationsgestaltung an real existierenden Streitkräften durchgespielt worden wären. Dieses Ansinnen scheitert jedoch an der naturgemäß sehr zurückhaltenden Informationspolitik des Militärs. Verschlimmert wird diese Fernglasoptik durch die besondere Natur des Themas Militär und Krieg im Allgemeinen. Keine Armee der Welt wird freiwillig ihre Geheimnisse und Strategien veröffentlichen. Nur relativ wenige Informationen dringen nach Außen und sind dann natürlich auch nicht als objektiv zu werten. Unabhängige Berichte oder gar Kritik sind rar und nur schwer zu entdecken. Ich hoffe daher, dass es mir trotzdem gelungen ist, einen in sich geschlossenen Überblick zu diesem Thema zusammenzustellen, der sich nicht zu sehr in martialischer oder selbstbeweihräuchernder Polemik der Militärs verliert. Die Erläuterung an dem noch fiktiven Modell einer Europäischen Verteidigung hat auch den Charme, dass nicht auf nationale Interessen sowie organisatorische und materielle “Altlasten” Rücksicht genommen werden muss.
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wirft stets zahllose moralische und ethische Fragen auf. Zudem kann eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik in einigen Mitgliedsstaaten schwere politische und verfassungsrechtliche Zweifel und Schwierigkeiten aufkommen lassen. Auf diese Punkte wird im Rahmen der Arbeit leider nur oberflächlich und nicht sehr tief eingegangen werden können. Innerhalb dieser Arbeit geht es auch nicht um die Bewertung des Krieges an sich. Der Schwerpunkt liegt in den organisatorischen und informationstechnischen Herausforderungen, die sich aus den Aufgaben des Militärs ergeben.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Veränderung der Rahmenbedingungen
- Politisch und Sozial
- Ende des Kalten Krieges
- Der Weg zu einer Europäischen Gemeinschaft
- Ursprünge der Europäischen Idee
- Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
- Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)
- Europäische Union (EU)
- Sicherheitspolitische Herausforderungen
- Asymmetrische Gefahren
- Bürgerkriege, Zerfall von Staaten und Regionale Konflikte
- Verbreitung von Massenvernichtungswaffen
- Wirtschaftliche und soziale Konflikte
- Terrorismus
- Organisiertes bzw. grenzüberschreitendes Verbrechen
- Fragilität der alten Bündnisse
- Wirtschaftlich
- Veränderung der Wettbewerbsbedingungen
- Technische Innovationen
- Wertewandel in Arbeitswelt und Gesellschaft
- Öffnen starrer Organisationsstrukturen
- Flexibilität und Innovationsfähigkeit
- Technologisch
- Einfluss von Technologien
- Informationstechnologie
- Diffusion der Informations- und Kommunikationstechnik
Neue sicherheitspolitische Strategien
- Amerikanische Antwort
- Sicherheitspolitische Strategie vor dem 11. September
- Neue Politik der aktiven Prävention
- Ausweitung der defensiven Sicherheitsorgane
- Verbesserung der militärischen Stärke
- Europäische Antwort
- Triebkräfte hinter der Entwicklung der Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (ESVP)
- Entwicklung seit dem Gipfeltreffen von Saint-Malo
- Europäische Sicherheitsstrategie
- Übernahme von Verantwortung und Identifikation der aktuellen Gefahrenquellen
- Absage gegen Präventivschläge
- Drei Säulen der europäischen Sicherheitspolitik
- Sicherheitspolitische Vorgaben der Europäischen Verfassung
- Werte der Europäischen Union
- Gemeinsamer Außenminister
- Solidaritätsklausel und engere Zusammenarbeit
- Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit
Aufgaben des Militärs
- Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität
- Innere Sicherheit
- Katastrophenschutz und Humanitäre Hilfe
- Rettungseinsätze und Evakuierungen
- Friedenschaffende Maßnahmen und Kampfeinsätze
- Friedenserhaltende Missionen, Polizeimissionen und Nation Building
- Technologieträger und Nachfrager militärischer Ausrüstung
Vorschläge für eine Neugestaltung des Militärs
- Organisation
- Entkopplung der Unterstützungskräfte
- Personalwesen
- Buchhaltung, Finanzen und Controlling
- Logistik
- Infrastrukturdienste
- Polizei und Spionageabwehr
- Aufklärung
- Forschung und Lehre
- Medizinische Versorgung
- Reduzierung der Bedeutung der Teilstreitkräfte
- Digitale Streitkräfte
- Die Teilstreitkräfte als Karrierepfad
- Rang als Indikator von Kompetenz und Verantwortung
- Aufgabenspezifische Task Forces
- Entkopplung der Unterstützungskräfte
- Vernetzung
- Die drei Ebenen der Kriegsführung
- Network Centric Warfare (NCW)
- Offene Systeme
- Bewusstsein über die Schwierigkeiten der Vernetzung
- Connectivity
- Technische Interoperabilität und Offenheit
- Semantische Interoperabilität
- Integration von Prozessen
- Hohe Sicherheitsanforderungen
- Informationsreduktion und –auswahl
- Führung und Entscheidung
- Hinterfragen der alten Weisungskette
- Management by Objectives
- Übergreifende Kommunikation
- Zusammenarbeit
- Synchronisation
- Effektivität, Effizienz und (Kosten-)Wirtschaftlichkeit
- Neuausrichtung der Beschaffung
- Veränderter Bedarf
- Vermehrte Beschaffung auf dem freien Markt
- Standards statt Individuallösungen
- Plattformstrategie
- Nutzung einer gemeinsamen Beschaffung auf internationaler Ebene
- Anforderungen an die Menschen in der neuen Organisation
- Der Mensch rückt in den Mittelpunkt
- Sozialkompetenz
- Verantwortungsbereitschaft und Eigeninitiative
- Spezialisierung
- Innovationsbereitschaft und Lernfähigkeit
- Systemdenken
- Erhöhtes Risiko und Bereitschaft zu längerfristigen internationalen Missionen
- Anteil der höher qualifizierten Tätigkeiten nimmt zu
Mögliche Gestaltungsvarianten für Europa
- Synchronisierte Verteidigungspolitik
- Gemeinsames Verteidigungsbündnis
- Schaffung einer europäischen Armee
- Zusammenlegung der nationalen Streitkräfte
Schlussresümee
- “If We Run Out of Batteries, This War is Screwed.”
- Risiko Just-in-Time
- Koordinierung großer dynamischer Organisationen
- Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft
- Finanziellen Spielraum für Innovationen schaffen
- Die Übernahme von Verantwortung birgt Risiken
- Vertrauen schaffen, Begeisterung wecken